Eigentlich sollte Israel etwas ganz besonders
sein. Es sollte das freieste Land auf der Welt sein, und das reichste
und glücklichsten und sicherste noch dazu. Dazu hatte es einen
besonderen Gott, der unsichtbar war, vor dem man nicht niederknien
konnte und der ganz außergewöhnliche Ideen hatte, die Israel
ebenfalls zu einem ganz besonderen Land machten.
In diesem Land war an jedem 7. Tag Arbeitsverbot,
und die Einwohner des Landes durften für höchstens 6 Jahre
versklavt werden. Der Schutz der Schutzlosen war Gesetz,
Großkapitalismus wurde automatisch nach 50 Jahren wieder auf 0
gestellt, und Armut war nicht erblich. Gewisse Feste waren
vorgeschrieben – damit niemand das Feiern vergaß. Den Einwohnern
wurde Sicherheit vor Feinden garantiert und Wohlstand versprochen.
Klingt schön. Versperrte aber der egoistischen
Mehrheit der Bevölkerung den Weg zur Selbstverwirklichung. Sie
wollten den Schutzlosen nicht schützen und den Sklaven nicht nach 6
Jahren freilassen. Recht, das nicht ihren eigenen Interessen diente,
erachteten sie als überflüssig. Und so machten sie nach und nach
aus Israel ein Land wie alle anderen: Mit Willkürherrschaft,
Korruption, Rechtsbeugung, Ausbeutung und Machtmissbrauch. Auf allen
Ebenen.
Und eigentlich hatten sie so etwas ja schonmal
gehabt. Nämlich in Ägypten. Damals hatte Gott sie ja extra befreit.
Und nun stellten sie selber wieder ägyptische Verhältnisse her.
„Nun“, sagte daraufhin Gott, „das könnt Ihr haben.“ Und er
verschaffte seinen Leuten Verhältnisse, die noch viel ägyptischer
waren als vor 1000 Jahren.
Wenn eine Gemeinde sich vom Rest der Welt nur noch
durch den Kultus und das Schild an der Tür unterscheidet, braucht
sie sich nicht zu wundern, wenn Gott sie dem Rest der Welt gleich
macht. Schließlich hat sie es so gewollt.
(Dieser Artikel ist eine Zusammenfassung von Klagelieder, Kapitel 5.)