Mein Nachhilfestudent war da.
Wie fast jeden Sonntag.
Ist durch die Prüfung gefallen und muss jetzt ins
mündliche.
Geophysik.
Er konnte mit den Formeln rechnen.
Er konnte
auch die einzelnen Werte richtig eintragen in die Formel: Z.B. die
Plastizitätszahl und die Konsistenzzahl.
Aber er wusste nicht, was diese Zahlen bedeuten.
Er bekam bei der Rechnung ein Ergebnis, wusste aber eigentlich
nicht, was er gerade ausgerechnet hatte.
Das ist schlecht, wenn man in der Prüfung lauter
Textaufgaben bekommt, bei denen man im Grunde erst einmal herausfinden muss,
was man ausrechnen muss.
Jede Sprache ist schwierig, wenn man die Vokabeln nicht
kann.
Der Suchvorgang
Also haben wir versucht,
herauszufinden, was die Plastizitätszahl und die Konsistenzzahl eigentlich
bedeuten.
Wir hatten zwei
sehr dicke Lehrbücher zur Verfügung, eins über Geophysik und eins über Gleisbautechnik,
die Mitschriebe und Unterlagen aus den Vorlesungen und das gesamte Internet.
Und diese Zahlen
kamen überall vor.
Man kannte die.
Sie wurden oft
erwähnt.
Aber nirgendwo
haben wir eine Beschreibung oder eine Definition gefunden.
Nirgends eine
Erklärung in dem Stil: „Die Plastizitätszahl ist dazu da, dass man weiß,
wieviel Rumms in welchem Knacks unter welchen Umständen …“.
Alle haben diese
Zahlen benutzt, aber niemand hat sie erklärt.
Der Findevorgang
Nach 90 Minuten denken
und wälzen hatte ich es raus.
Und ich habe es
rausbekommen, indem ich die Formel rückwärts gerechnet habe.
Ich
habe also die Formel auseinander genommen und überlegt, was man da eigentlich
von was abzieht und durch was teilt, und warum.
Über das
Verstehen der Formel bin ich dahin gekommen, dass ich verstanden habe, was wir
ausrechnen.
Die Plastizitätszahl in der Bibel
Wir haben in der
evangelikalen Christenheit genau das gleiche Problem.
Die Gläubigen
kennen die Worte und können sie zu wunderbaren Sätzen und Formeln zusammenfügen.
Sie jonglieren
mit Liebe und Heiligung, Sünde und Vergebung, Ewigkeit und Einheit, Heiligem
Geist und Sohnschaft.
Und wenn man sie
fragt, um was es eigentlich geht bei der ganzen Sache, dann wiederholen sie
einfach ihre Formeln und Sätze.
Und die Gläubigen
sagen: So falsch kann das ja nicht sein, was wir da sagen, das steht ja so in
der Bibel. Das sind biblische Sätze, biblische Formeln.
Wie in der
Geophysik: An meiner Benutzung der Formel kann keiner rummeckern, sie steht ja
so im Lehrbuch.
Leider nicht
Wir haben in der
Bibel das gleiche Problem wie in der Geophysik: Worum es eigentlich geht, wird
weder definiert noch formuliert.
Und darum hat uns
das von unseren Bibellehrern und Predigern auch nie jemand gesagt.
Die wussten es
auch nicht, denn es steht als Definition oder Formulierung nicht in der Bibel
drin.
Man bekommt es
nur raus, wenn man die Formeln auflöst und rückwärts rechnet.
Wenn man Liebe
durch Heiligung teilt, Sünde von Vergebung abzieht, Ewigkeit mal Einheit nimmt
und die Wurzel zieht aus Heiligem Geist und Sohnschaft.
Das Ergebnis
Das Ergebnis ist,
dass es darum geht, in Kontakt zu treten mit dem ewigen Gott.
Also das uralte
Menschheitsproblem: Es gibt offensichtlich einen Gott, aber wie kann man mit
ihm umgehen.
Es geht nicht um
die Sündenvergebung, denn die ist nur Mittel zum Zweck.
Es geht nicht um
Heiligung, denn die ist nur Mittel zum Zweck.
Es geht nicht um
den Heiligen Geist, denn der ist nur Werkzeug oder Methode.
Es geht nicht um
das ewige Leben, denn das ist nur die Existenzform, die man braucht, um den
Kontakt oder die Gemeinschaft mit diesem Gott optimal herstellen zu können.
Es geht nicht um
die Liebe, denn sie ist nur das Motiv für den Kontakt zwischen Gott und Menschen.
Es geht darum,
möglichst nah an diesen Gott ranzukommen, sich mit ihm verständigen zu können. Tatsächlich
und nachweisbar in seiner Nähe zu leben und sich dieses nicht nur einzubilden.
Gottes Stimme zu
hören, Gottes Atem zu spüren, Gottes Bewegungen mitzubekommen, Gottes aktuelles
Handeln zu erkennen und darum erfolgreich mitmachen zu können.
(Über den letzten
Punkt hat Rick Warren in seinem Buch „Kirche mit Visionen“ ein ganzes Kapitel
geschrieben: Mitzukriegen, wann und wo Gott eine Welle macht, und dann darauf
surfen.)
„Gemeinschaft“
könnte man das nennen, wenn dieser Begriff in der christlichen Szene nicht so
dermaßen ausgelutscht, abgenutzt und missbraucht wäre.
Freund und Freundin
Gottes zu sein, im besten und absolutem Sinne dieses Begriffes.
Warum Jesus kam
Das ist auch der
einzige Grund, warum Jesus gekommen ist: Um die Verbindung zwischen Gott und
Mensch zu perfektionieren.
Jesus ist nicht
gekommen, um die Sünden zu vergeben. Er hat zwar alles getan, damit sie
vergeben werden, aber das war nur ein Mittel, um sein eigentliches Ziel zu
erreichen.
Jesus ist nicht
gekommen, um den Teufel zu besiegen. Er hat ihn zwar besiegt, aber das war nur
ein Mittel, um sein eigentliches Ziel zu erreichen.
Das eigentliche
Ziel von Jesus war, eine größtmögliche Nähe von Menschen zu Gott (oder
andersherum) herzustellen.
Die richtige Benutzung der Formeln
Alle die
christlichen Formeln wird man nur dann richtig benutzen, wenn man das Ergebnis
verstanden hat, zu dem alle diese Formeln hinführen sollen.
Wenn man den
Heiligen Geist, die Sünde oder die Heiligung als absolute Werte benutzt, also
als Endergebnis und nicht als einen untergeordneten Teil der eigentlichen
Formel, kriegt man irgendeine Form der Gesetzlichkeit.
Wobei auch die
Ungesetzlichkeit eine Form der Gesetzlichkeit ist.
Darum betont
Paulus, dass alles erlaubt ist.
Aber eben nicht
alles nützt.
Nichts nützt
wozu?
Zu dem Ergebnis, das
am Ende rauskommen soll.
Aber dieses
Ergebnis, das nirgendwo in der Bibel definiert oder formuliert ist, müsste man
verstanden haben.
Glaube
„Glauben“ ist
damit die Überzeugung, dass die Nähe zu Gott für mich tatsächlich in
bestmöglicher Form hergestellt ist, und dann entsprechend zu denken und zu
leben.
(Und diese Definition
von „Glaube“ steht übrigens auch nicht in der Bibel. Auch sie muss man
rückwärts errechnen.)
Nachtrag
P.S.: Die
Plastizitätszahl bezeichnet übrigens die Menge an Wasser (angegeben in %), die
ein Boden vertragen kann, ohne dass er wegfließt. Wenn die Plastizitätszahl
eines Bodens gering ist, er also wenig Wasser verträgt, sollte man dafür
sorgen, dass es dort, wo man das Haus oder die Straße bauen will, nicht regnet.
Die
Konsistenzzahl wiederum schließt aus der Plastizitätszahl, ob der Boden hart
oder weich ist.
Die
Plastizitätszahl sagt also, wieviel oder wie wenig es regnen darf, damit der
Boden sich noch bewegen kann.
Die
Konsistenzzahl sagt, wie hart der Boden ist.